MieterAKTIONärIn, eine Aktions- und Diskussionsplattform kritischer Immobilienaktionärinnen und Immobilienaktionäre, hat die Veröffentlichung einer Studie von Herrn Prof. Heinz-J. Bontrup zu den Geschäftsabschlüssen der Deutsche Wohnen AG zum Anlass genommen, auf die grundsätzliche Problematik der hohen Bewertungsgewinne bei den Wohnungs AGs hinzuweisen.
Die Studie von Professor Bontrup wurde am 10. April 2017 durch die Fraktionen der Linken im Bundestags und im Berliner Abgeordnetenhaus vorgestellt. Bontrup kommt zu für die Deutsche Wohnen zu recht dramatischen Ergebnissen, was z.B. die Deckung der Dividendenzahlungen angbelangt. Seiner Einschätzung nach wird die “Dividende aus der Substanz gezahlt”. Die jährlichen Neubewertungen der Immobilien würden Gewinne vorgaukeln, die real nicht fließen.
Damit wurde öffentlich eine Thema aufgerollt, das sich auch bei Vonvia, LEG und anderen großen Immobilienunternehmen stellt.
MieterAKTIONärIn erklärt dazu in einer Pressemitteilung:
Aufgrund der Zeitwerteinschätzungen der Wohnimmobilien nach den internationalen IFRS –Standards (Fair Value“) kommt es nicht nur bei der Deutsche Wohnen AG, sondern auch bei der Vonovia SE, der LEG Immobilien AG und anderen großen Vermietungsunternehmen zu sehr hohen jährlichen Buchgewinnen. Diese basieren nicht auf den laufenden operativen Gewinnen aus dem Vermietungsgeschäft, sondern auf Erwartungen zu den realisierbaren Marktwerten bei einem Wiederverkauf der Immobilien. Diese „Fair Value“-Bestimmung der Marktwerte erfolgt auf der Grundlage einer abgezinsten Schätzung der Zahlungsströme der nächsten zehn Jahre („Discounted Cashflow“). In die Bewertung fließen unter anderem Annahmen zur stetigen Steigerung der (von den Unternehmen real noch nicht erzielten) „Marktmieten“ sowie zum Zinsniveau ein.
Laut Prof. Bontrup kam es bei der Deutsche Wohnen AG von 2012 bis 2015 zu einem kumulierten Bewertungsgewinn von 2.907,3 Mio. EUR. Bereinigt um diese Buchwertgewinne reduzieren sich die hohen Bilanzgewinne auf lediglich 68,3 Mio. EUR für 2014 und 51,3 Mio. EUR für 2015. Diese bereinigten Gewinne reichen nach Prof. Bontrup nicht aus, die ausgeschütteten Dividenden zu decken. Bontrup: „Geht man bei der Dividendenausschüttung vom Ergebnis ohne Bewertungsgewinn aus, so waren die in 2014 und 2015 vorgenommenen Ausschüttungen eindeutig zu hoch. 2014 lag bezogen auf das bewertungsbereinigte Ergebnis eine Unterdeckung von 90,3 % und 2015 in Höhe von 254,8 % vor.”
Bei der Vonovia SE, dem mit Abstand größten Wohnungsunternehmen in Deutschland, betrugen die Buchgewinne aus der Fair Value-Bewertung allein im Geschäftsjahr 2016 fast 3,3 Mrd. Euro, im Jahr 2015 waren es 1,3 Mrd. Euro. Bereits bei dem Vorgänger Deutsche Annington waren von 2006 bis 2014 insgesamt 1,9 Mrd. Euro an akkumulierten Buchgewinnen angelaufen. Wies der Vonovia-Konzern im Jahr 2016 einen Bilanzgewinn nach (überwiegend „latenten“) Steuern in Höhe von 2,5 Mrd. Euro aus, so betrug das Ergebnis ohne die Bewertungsgewinne nach Abzug der geringen tatsächlich gezahlten Steuern lediglich 521 Mio. Euro (Vorjahr: 994 Mio. Euro / 337 Mio. Euro).
Bei der LEG Immobilien AG (124 Tsd. Wohnungen, fast alle in NRW) betrugen die bilanziellen Bewertungsgewinne 2016 über 616 Mio. Euro, kumuliert seit 2013 sind es 1,3 Mrd. Euro.
Kern des Geschäftsmodells aller dieser Wohnungskonzerne ist die überdurchschnittliche Mietsteigerung. So heißt es zum Beispiel bei der LEG Immobilien AG: „Das Portfolio der LEG hat in den letzten Jahren kontinuierlich ein Mietwachstum (+2,4% pro Jahr seit 2010 auf vergleichbarer Fläche) oberhalb des Marktdurchschnitts gezeigt.“
Bei der im ganzen Bundesgebiet, keineswegs nur in besonders angespannten Märkten, vertretenen Vonovia betrug der Mietenanstieg im Jahr 2016 im Durchschnitt 3,3 % auf Like-to Like-Basis und 4,7, % wenn man von einem Vergleich der gesamten Durchschnittsmieten ausgeht. Im Bundesdurchschnitt betrug die Steigerung lediglich 1,5 %. Bei der LEG, die fast nur in NRW tätig ist, betrug die Steigerung 2016 im Durchschnitt 2,5 % (Like-to-Like), bei den freifanzierten Wohnungen waren es 3,4 %. Im gelichen Zeitraum sind die Nettokaltmieten in NRW um durchschnittlich 1,7 % gestiegen.
Die überdurchschnittlichen Mietsteigerungen erzielen die Konzerne durch mehrere Methoden:
- · Mieterhöhungen nach Auslaufen der Sozialbindungen
- · massenhafte Mieterhöhungen über die Vergleichsmiete hinaus
- · Erzielung hoher Mieten bei Abschluss neuer Verträge
- · Modernisierungen, deren Kosten trotz niedrigster Zinsen zu 11 % pro Jahr auf die Mieter umgelegt werden dürfen.
Hinzu kommt die Abwälzung von Bewirtschaftungskosten und die Gewinnerzielung über die Nebenkosten, sowie Profite aus der Durchführung von Arbeiten durch eigene Töchter, deren Beschäftigte nicht nach Tarif bezahlt werden.
Der Zwang zu immer weiter steigenden Mieten hängt direkt mit der Bewertungsmethode zusammen. Kommt es in den nächsten zehn Jahren auf den Wohnungs- oder Finanzmärkten zu geringeren Mieterhöhungsmöglichkeiten (z.B. aufgrund von strikteren Mietgesetzen) oder höheren Zinsen, kann dies zu starken Abwertungen der Buchwerte der Immobilien AGs führen, was weitreichende Auswirkungen auf den bilanziellen Eigenkaptalanteil und Verschuldungsgrad, die Refinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen und die Aktienkurse hätte. Um dieses Szenario zu vermeiden, sind die Konzerne unter anderem gezwungen, die erwarteten Mieterhöhungen zumindest zu einem wesentlichen Teil auch durchzusetzen und Verschärfungen des Mietrechts zu verhindern.
Gerät das Modell aufgrund höherer Zinsen und stabiler Mieten ins Straucheln, haben wir es nicht mehr nur mit einer Wohnungskrise zu tun. Wir könnten mit einer neuen Immobilienkrise konfrontiert sein.
Rückfragen:
Michael Boedecker, Frankfurt
Michael_Boedecker <at> t-online.deKnut Unger, Witten/Wuppertal
Tel. 0157-58067500, knut.unger <at> mvwit.de