TTIP: eine Bedrohung für soziales Wohnen, Landrechte und demokratische Städte

Erklärung europäischer Wohnungs-Aktionsgruppen zum Anti-TTIP-Aktionstag

Die unterzeichnenden Organisationen, die gemeinsam für das Recht auf Wohnen und die Stadt kämpfen, unterstützen den Protest gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP und das bereits verhandelte Abkommen CETA.

Freitag, 17. April 2015

Umweltgruppen, Verbraucherverbände, Gewerkschaften und andere Organisationen der Zivilgesellschaft warnen schon seit Jahren, dass Freihandelsabkommen wie TTIP die Umweltstandards in der Landwirtschaft, Gesundheitsstandards für Lebensmittel oder die Arbeitsstandards bei Dienstleistungen untergraben werden.  Weil TTIP unter strenger Geheimhaltung diskutiert wird und wegen die geplanten Schiedsgerichte für den Investorenschutz befürchten auch viele Städte, dass das Abkommen die national Souveränität und Demokratie außer Kraft setzen wird. Von Anti TTIP-Kampagnen werden negative Auswirkungen auf den Schutz vor Fracking, für die öffentliche Bildung, städtische Dienstleistungen und die Regulation von Finanzprodukten befürchtet. Wir befürchten, dass TTIP außerdem desaströse Konsequenzen auf die Stadtentwicklung, den Immobiliensektor, das Wohnen und die Bodenmärkte haben wird

Weil TTIP hinter geschlossenen Türen verhandelt wird, können wir die Details und konkreten Konsequenzen von TTIP bislang nicht kennen. Wir wissen nicht einmal, ob diese Aspekte überhaupt ein Thema der Verhandlungen sind. Jedoch haben wir ebenso wenig ein Signal der verhandelnden Parteien vernommen, dass eine Ausklammerung von Immobilien, öffentlichem/sozialem Wohnungsbau oder der Regulierung von Finanzprodukten diskutiert würde. Es ist auch nur schwer vorstellbar, wie eine solche Ausklammerung umgesetzt werden könnte. Deshalb müssen wir wohl das Schlimmste befürchten.

TTIP und CETA können viele Auswirkungen auf das Wohnen und die Städte in unseren Ländern haben. Soweit wir es anhand der rareren und verwirrenden Informationen nachvollziehe können, verfolgt TTIP vier Ziele:(1) Reduktion nicht-tarifärer Handelshindernisse, (2) Schutz  transnationaler Investitionen, (3) Harmonisierung von Industriestandards,  (4) Einführung von Schiedsgerichten für den Investitionsschutz. Jedes dieser Ziele kann das Wohnen, die Landnutzung und die Städte in unterschiedlicher Weise betreffen.

(1) Die geplante Reduktion nicht-tarifärer Handelshindernissse könnte bestehende oder geforderte nationale Restriktionen der transnationalen Kapitalmobilität und der Handelstransaktionen mit Wohnungen und Land erschweren. Noch immer begrenzen einige Länder in Europa das Recht von Ausländern, landwirtschaftliche Flächen und Wohnhäuser zu besitzen. Andere entziehen einen Teil der Grundstücke und Wohnungen den kommerziellen Märkten. Zum Beispiel durch Systeme öffentlicher oder sozialer Wohnraumversorgung. Durch TTIP könnten solche Marktrestriktionen in Frage gestellt werden. All das kann zu einer noch schnelleren Globalisierung der Immobilienfinanzanlagen führen. Neben der transnationalen Konzentration von Kapital wird eine der Konsequenzen ein erhöhtes Risiko neuer Immobilien- und Finanzblasen sein.

(2) Die diskutierten Schutzmaßnahmen für transnationale Investorenrechte können sich direkt auf Wohnungsbestände auswirken, die transnationalen Fonds oder Aktiengesellschaften mit internationalen Anteileignern oder deren Tochterfirmen gehören.

Dieser Sektor umfasst auch die weitverbreiten öffentlich-privaten Partnerschaften im Sozialen Wohnungsbau und der öffentlichen Infrastruktur, die von der Europäischen Kommission gepuscht werden, z.B, in Italien. Irgendeine Begrenzung der ökonomischen Ausbeutung des Grundeigentums  z.B. durch die Verbesserung der Mieterrechte, neue Stadtplanungsstandards oder die stärkere Besteuerung von Veräußerungen könnte als Verletzung der Eigentümerrechte und der Investitionssicherheit interpretiert werden.

Dies gilt besonders dann, wenn eine Regierung plant, die Regulierung zu verschärfen. Die Einführung einer Privatinsolvenz oder der Beschlagnahme leerstehender Wohnungen, die eine realistische Erwartung an denkbare progressive Regierungen in Spanien darstellt, könnte rechtlich durch transnationale Fondsgesellschaften wie Blackstone oder Goldman Sachs unter Druck geraten, die  bereits in den spanischen Markt eingedrungen sind. In der Folge könnten auch Länder, die bereits über Gesetze zu Privatinsolvenzen verfügen oder die Beschlagnahmen erlauben unter Druck geraten. Erforderliche Verbesserungen des Räumungs- und Mieterschutzes könnten von US-Investoren ebenso angegriffen werden. Selbst die Einführung leichter verschärfter Mietenregulationen, wie sie gerade in Deutschland erfolgt, könnte als Bedrohung der Investitionssicherheit verstanden werden, wenn US-amerikanische oder kanadische Anteilseigner in deutsche Wohnungsunternehmen wie z.B.. Blackrock oder Sun Life, der Auffassung sind, dass der Marktwert der Wohnungsunternahmen davon beeinträchtigt ist.

(3) Die Harmonisierung der Industriestandards kann potentiell Auswirkungen auf den Bereich des Verbraucherschutzes haben und könnte z.B. zu einer Schwächung der Standards für Bauten und Bauprodukte, wohnungsnahe Dienstleistungen und Architekten, für Finanzprodukte und Baufinanzierungen führen. In Bezug auf Bauprodukte könnte es zu einem Druck auf ökologische Standards (z.B. Begrenzungen des Einsatzes von Tropenholz), Gesundheitsstandards (z.B. Wohngifte) und soziale Produktionsstandards (u.a. Arbeitsbedingungen) kommen, Weil öffentliche Behörden gleichzeitig gezwungen sind, die billigsten Angebote anzunehmen wird der bereits existierende Wettlauf um Standardabsenkungen verschärfen.

(4)The geplanten Schiedsgerichte  (“investor-state dispute settlement”) sollen über Verletzungen des Freihandels urteilen, ohne an nationale Gesetze, Verfassungen oder Menschenrechtsstandards gebunden zu sein. In vielen Ländern wird dies schlicht verfassungswidrig sein. Gemäß den Verfassungen in vielen europäischen Ländern für Eigentum zu sozialen Verpflichtungen.  Dies ist den Freihandelsabkommen nicht der Fall. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bedenken, dass schon das Risiko einer hohen Schadensersatzforderung durch ein großes Unternehmen starken Einfluss auf die Gesetzgebung haben kann („Chilling-Effekt“). Regierungen werden davor zurück schrecken Mietpreiskontrollen zu verschärfen oder Baurechte auf einem Territorium zu begrenzen  wenn sie in der Folge Milliarden-Forderungen von Investoren befürchten müssen, die aufgrund dieser Gesetze oder kommunalen Satzungen Verluste machen.

Wir wissen nicht, ob irgendeine Ausklammerung des Wohnungswesens oder des Immobiliensektors von TTIP in den geheimen Gesprächen diskutiert wird. Allerdings ist es kaum möglich, TTIP auf bestimmte Branchen und Unternehmenssitze zu beschränken und zentrale Wirtschaftssektoren wie die Immobilienwirtschaft und ihre Finanzierungsstrukturen davon auszuschließen. Wenn es z.B. einen Freihandel mit landwirtschaftlichen oder extraktiven Produkten gibt,  können Baustoffe wohl kaum von der Verwendung dieser Materialien geschützt werden.  In allen Branchen können die Firmen transnationale Anteilseigner haben, etwa spezielle Tochterunternehmen oder Investoren in Fonds und Anleihen, die behaupten, von nationalen Gesetzen beeinträchtigt zu werden. Transnationale Investoren können auch einfach die gesellschaftsrechtliche Struktur ihrer Holdings ändern, wenn das für die Steuervermeidung oder die Vermeidung von spezifischen Auflagen hilfreich ist. Zum Beispiel könnte eine Private Equity-Firma, die bislang indirekt in Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Kinos und Wohnungen investiert ist, sehr leicht eine multinationale Firma konstruieren, die Energiewirtschaft, Landbesitz und Immobiliengeschäfte kombiniert und transatlantische Interessen in allen diesen Branchen beanspruchen kann. Banken können einfach bestehende Töchter nutzen oder neue Spezial-Vehikel in Europa oder den USA errichten um nationale Regulierungen über die Schiedsgerichte anzugreifen. Kleinere Vermieter oder andere Investoren könnten sich zu Joint Ventures in Europa oder den USA zusammenschließen, nur um transnationale Investorenrechte zu beanspruchen. Es ist sehr wahrscheinlich dass nationale Immobilienlobbies über solche Maßnahmen nachdenken werden, wenn ihnen dies mehr Einfluss in nationalen Auseinandersetzungen um die Wohnungspolitik sichert.

Dies alles wird starke Auswirkungen auf die Stadtentwicklung und Stadtplanung haben. Eine transatlantische Firma, die Grundstücke in einem Planungsgebiet erworben hat könnte eine Verletzung der Investitionssicherheit beklagen, wenn der Stadtrat später entscheiden sollte, dass er die Baudichte verringern, den Anteil des sozialen Wohnungsbaus oder von Freiräumen erhöhen oder das Projekt ganz stoppen will. Diese Möglichkeit wird den Einfluss privater Investoren in großen städtebaulichen Projekten wie luxuriösen Wohnvierteln, FOCs oder der sozialen Säuberung traditioneller Stadtviertel erhöhen.

Es wird zu einem Verlust lokaler Demokratie kommen  Das wird auch die lokale Wohnungs- und Baupolitik betreffen. Lokale Referenden für alternative Entwicklungskonzepte oder einen besseren sozialen Wohnungsbau – wie derzeit in Berlin –  könnten mit der Möglichkeit konfrontiert werden, dass die Schiedsgerichte die Umsetzung stoppen. Kommunale Bau- und Beschäftigungsstandards würden ebenfalls unter Druck geraten.

Schließlich werden  TTIP und CETA auch starken Einfluss auf die Politik der Europäischen Union haben. Europäische Produktstandards geraten unter Druck wenn sie nicht mit denen in den USA harmonieren. Forderungen und Bewegungen für schärfere Regeln für Hedge- und Private Equity Fonds, nach einer strengeren Besteuerung von grenzüberschreitenden Finanzgeschäften, für verbindliche BewohnerInnenrechte und für Verpflichtungen zu einer sozialen Wohnraumpolitik stünden vor einer neuen riesigen Herausforderung. Die Angriffe der Europäischen Kommission auf den gemeinnützigen oder öffentlichen Wohnungssektor in vielen Ländern könnte sich als bloßes Vorspiel für das erweisen, was uns unter TTIP droht.

Deshalb müssen wir als lokale Mieter- und Bewohnerorganisationen befürchten, dass die geplanten Abkommen einen neuen starken Schub in Richtung auf die Privatisierung und die Kontrolle der Investoren über unsere Städte und Dörfer hervorrufen wird.

Deshalb müssen wir als Organisationen lokaler Mieter und BewohnerInnen befürchten, dass die geplanten Abkommen einen neuen starken Schub in Richtung auf die Privatisierung und die Kontrolle der Investoren über unsere Städte und Dörfer hervorrufen wird. TTIP kann einen neuen Tsunami auslösen, der die Menschen von ihrem Land, ihren Wohnungen, ihrer sozialen Infrastruktur  und ihrer demokratischen Verwaltung enteignet. In Europa, in Nordamerika und darüber hinaus. Anstatt die Lektionen der Zusammenbrüche von 2007/2008 und ihrer Folgen zu lernen soll der global destruktive Pfad der Neoliberalisierung fortgesetzt werden. Ein Pfad, der bei so vielen Regierungen und Behörden unterstützt wird, einschließlich – auf unserem Feld – der Vorbereitung der UN-Konferenz Habitat III.

Wir müssen sie stoppen

Wir brauchen starke Bündnisse zwischen Europäischen und nordamerikanischen sozialen Bewegungen, einschließlich der Organisationen der Mieter und Bewohner, und fordern dass unsere Regierungen nicht TTIP unterstützen

No TTIP!

UnterzeichnerInnen

  • AK Kritische Geographie Frankfurt a.M.
  • Bond Precaire Woonvormen, Niederlande
  • Bündnis Zwangsräumung Verhindern ,Berlin,
  • CANTIERE/ Comitato Abitanti San Siro, Milano
  • Droit au Logement  (Recht auf Wohnen) und No Vox, Paris, France
  • Eisbrecher Wuppertal
  • Encounter Athens, Athen
  • Habita – Associação pelo Direito à Habitação e À Cidade, Lisbon, Portugal
  • Housing Action Now, Dublin
  • International Alliance of Inhabitants
  • London Group of participants in European Housing Rights
  • MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V. and Habitat Netz e.V., Witten,
  • Mieterforum Ruhr (Ruhr Tenants Forum)
  • Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), Spanien
  • Solidarity for All, Athen
  • Tribunal gegen Zwnagsräumungen Evictions (Genf)

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